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Die Zukunft des Underwritings

Geschrieben von Melanie Hoppen | 15.01.2020

 

Aufgrund der großen Fortschritte in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung kann die Versicherungswirtschaft sich jetzt einem Bereich zuwenden, der bisher nicht im Fokus der Digitalisierung stand: dem Underwriting.  

Ob Kranken, Leben, Sach oder Gewerbe: Vor der Policierung eines Antrags steht die Prüfung des Schadensrisikos. Eine Entscheidung des Underwriters sollte das Risikoprofil des Antragstellers angemessen berücksichtigen; dieser hochqualifizierte Sachbearbeiter bemüht sich um höchstmögliche Objektivität. Der Underwriter vollzieht, wohl eher unbewusst, einen Spagat zwischen den beiden Polen Erfahrung und Objektivität. Wer häufig erlebt hat, dass bestimmte Sachverhalte zu einer Leistungsverpflichtung führen, wird diese Erkenntnis auf einen ähnlich erscheinenden Fall übertragen, sodass die Gefahr besteht, eine voreingenommene Entscheidung zu treffen. Erscheint das Risiko für den Versicherer zu groß, erhält der Antragsteller eine Ablehnung, was eine Entscheidung darstellt, die der Betroffene häufig nicht versteht. Im schlimmsten Fall bedeutet das für den Vermittler auch das Ende einer ansonsten bestehenden Kundenbeziehung. Die Digitalisierung der Prozesse im Underwriting löst dieses exemplarische Problem und bietet auch noch weitere Vorteile.

Wie Digitalisierung dem Underwriting nutzt

Die Aufgabenstellung scheint klar und überschaubar: Es geht im Underwriting darum, eine möglichst große Zahl von Kunden zu einem vertretbaren Risiko effizient zu versichern. In der Praxis ist dies aber ein durchaus komplexer Prozess, bei dem der Schlüsselbegriff die Effizienz ist. An vorderster Front sitzen Vertreter und freie Makler dem Kunden gegenüber. Nach der umfassenden Beratung fällt die Wahl auf einen Tarif in der Krankenversicherung. Die notwendigen Gesundheitsfragen werden beantwortet und im Idealfall landet der Antrag dann in digitaler Form beim Versicherer. Nur leider ergeben sich beim Underwriter noch Nachfragen. Nun beginnt üblicherweise eine Kommunikationsstafette.

Tele-Underwriting, wie es von verschiedenen Gesellschaften erfolgreich praktiziert wird, entlastet den Vermittler und erhöht die Effizienz. Denn durch den von einer Software geführten Prozess werden keine Fragen vergessen, die Entscheidung über den Antrag erfolgt unmittelbar und alle notwendigen Daten liegen direkt im System des Versicherers vor. So erhalten Underwriter zugleich mehr Freiraum, um sich komplexeren Fällen zu widmen. Bei solchen automatisierten Prozessen basieren die Entscheidungen der Software auf deduktiv entwickelten Regelwerken. Systeme maschinellen Lernens und Künstlicher Intelligenz erweitern die Möglichkeiten der Software durch die Option der Prognose. „Predictive Analytics“ kann auf der Basis unterschiedlichster Daten und Informationen die Regeln für das Underwriting schneller anpassen. Die allgemeinen Vorhersagen lassen sich auch auf individuelle Fälle anwenden, was einen Schlüssel auf dem Weg zu individuellen Tarifen in den Bereichen Leben und Kranken darstellt. So ziehen Dienstleister in ihren KI-Systemen Daten aus unterschiedlichen Quellen heran – z. B. von Fitnesstrackern, Wetteranalysen oder auch aus Social-Media-Postings –, um Risikobewertungen und Prognosen zu erstellen. Das sind deutlich mehr Informationen, als Menschen verarbeiten könnten.


Zugang zu freiwillig herausgegebenen Kundeninformationen sichern

Damit KI bei der Erstellung eines individuellen Risikoprofils im Bereich Kranken und Leben unterstützen kann, brauchen die Systeme Daten über den Antragsteller. Je mehr, umso besser. Informationen, die viele Versicherte bereits freiwillig herausgeben: Fitnessarmbänder, smarte Uhren und das Smartphone zeichnen rund um die Uhr Daten auf, die für eine Einschätzung der Gesundheit relevant wären. Nur landen diese nicht bei den Versicherern, sondern bei Technologiekonzernen aus dem Ausland. Mit „Health“ und „Fit“ haben Apple und Google in ihren jeweiligen Benutzersystemen zentrale Apps geschaffen, die solche Informationen aggregieren. Konsequenterweise hat Google vor Kurzem durch die Übernahme des Unternehmens Fitbit, das Fitnesstracker anbietet, den Gesundheitsbereich in seinem Datenkosmos noch weiter verstärkt. Das hat zur Folge, dass die Technologieunternehmen aktuell besser dazu fähig sind, die Eigenschaften und damit das Risikoprofil einer Person einzuschätzen, als die Versicherer selbst. Das gilt in etwas geringerem Umfang ebenso im Bereich der Kraftfahrzeuge, denn das Smartphone-Tracking bietet auch einen Überblick über die in einem Auto verbrachte Zeit.

Die Datenhoheit und Datenexzellenz der Technologieunternehmen bedroht letzten Endes den Kundenzugang des Versicherers. Apple betont zwar regelmäßig, aus solchen Daten kein unmittelbares Kapital schlagen zu wollen. Doch die Initiative von Google, nun auch ein eigenes Girokonto anzubieten, zeigt am Beispiel der Bankenwelt, wie schnell die Ambitionen eines IT-Konzerns das eigene Geschäftsmodell bedrohen können. Es wäre somit fatal für die Versicherungswirtschaft, wenn sie sich in die Abhängigkeit dieser Konzerne begeben müsste, um die für Risikoprüfung und Tarifierung notwendigen Informationen einzukaufen. Oder wenn sie in die Rolle eines Zulieferers von IT-Unternehmen gedrängt würde, die ihren Kunden offensiv ‚eigene‘ Versicherungen anbieten.


Daten, Daten, Daten

Um das eigene Risiko angesichts dieser drohenden Gefahren zu minimieren, sollten Versicherungsunternehmen in zwei Richtungen arbeiten. Auf der einen Seite müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Kundenzugang zu sichern. Noch ist es Zeit, eigene Angebote zu entwickeln, entsprechendes Know-how aufzubauen und über Kooperationen mit Insurtechs und anderen Firmen, Informationen über Kunden zu gewinnen. Das Unternehmen Fitsense aus den USA hat eine Analyseplattform entwickelt, die als Whitelabel-Lösung angeboten wird. Ziel ist es dabei, Versicherern die Möglichkeit zu geben, eigene Fitnesstracker oder Incentives aufzubauen. Zum anderen erscheinen weitere Bemühungen um Investitionen in KI-Systeme sinnvoll, um die Vorteile, die sich aus Predictive Analytics ergeben, nutzen zu können. KI bildet in diesem Zusammenhang die Grundlage für objektivierbare Risikoeinschätzungen und individuelle Risikoprofile bzw. Tarife. Ein von KI unterstütztes Underwriting arbeitet nicht nur schneller, sondern letztlich durch große Datenmengen und maschinelles Lernen auch fehlerfreier.