Insurtechs: Vom Hype zur Realität?


Sie waren gekommen, um die Branche umzukrempeln. Aber wie steht es nun um diese Disruption im Versicherungsgeschäft? Es scheint, als verlieren Analysten und Anleger:innen langsam die Geduld.

In der Welt der Insurtechs gibt es eine deutliche Zweiteilung. Auf der einen Seite stehen kleine Start-ups, die es seltener in die Schlagzeilen schaffen und deren Kapitalausstattung eher überschaubar ist. Und dann ist da der andere Teil, dessen große Fundings allein bereits für mediale Aufmerksamkeit sorgen. Diese „Digitalversicherer“ oder „Neoversicherer“ sehen sich bei der Disruption der Branche an vorderster Front. Entsprechend hoch sind auch die in sie gesteckte Erwartungen. Schließlich lautet das Versprechen, Versicherung so einfach wie nie zu machen.

Ernüchterung bei den Anleger:innen

Die Namen der Insurtechs mit hoher Strahlkraft kennt jeder Brancheninsider. Lemonade, Oscar Health oder Hippo in den USA, die allesamt die Blaupausen für Luko oder Element in Europa bilden. Sie verbindet, dass sie alle bereits seit Jahren aktiv sind – und trotzdem noch keine nennenswerte Traktion aufgenommen haben. Ein Blick in die Geschäftsberichte aller Unternehmen zeigt hauptsächlich eines: ein negatives versicherungstechnisches Ergebnis und rote Zahlen, die letztlich nur durch die teilweise üppige Kapitalausstattung aufgefangen werden.

Beispiel Luko aus Frankreich, das kürzlich hierzulande Coya übernahm: Im Dezember 2020 sicherte sich das Insurtech eine Finanzierung von über 50 Mio. Euro, konnte aber lediglich auf 100.000 Kund:innen verweisen. Und das in einem der größten Versicherungsmärkte Europas.

Vor dem Hintergrund eines zunehmend unübersichtlichen Fortgangs der Weltwirtschaft scheinen Anleger:innen und Investor:innen die Geduld mit den Insurtechs zu verlieren.

Darauf deuten einerseits die Börsenbewertungen der Insurtechs hin, die bereits öffentlich gehandelt werden. Lemonade hat im vergangenen Jahr 78 Prozent seines Börsenwertes verloren. Hippo verlor 77 Prozent seines Wertes. Krankenversicherer Oscar Health musste seit der Erstnotiz binnen weniger Monate 79 Prozent Wertverlust hinnehmen.

Es wird für Insurtechs zudem schwieriger, überhaupt Kapital aufzutreiben. Das Beratungsunternehmen CB Insights rechnet in seinem Report „State of Fintech“ vor, dass die Finanzierungen für den Insurtech-Sektor im ersten Quartal 2022 im Vergleich zum vierten Quartal 2021 um 58 Prozent zurückgegangen sind. Das Gesamtvolumen im ersten Quartal lag für 143 Abschlüsse bei 2,2 Mrd. Dollar. Genauso viele Beteiligungen gab es auch im vierten Quartal 2021. Allerdings mit einem Volumen von 5,3 Mrd. Dollar.

Digitalisierung an den Kund:innen vorbei?

Mit Blick auf die USA ist die Frage erlaubt, warum es Insurtechs nicht gelingt, größere Kundenkreise zu erreichen, noch dazu in Segmenten, die dort stark nachgefragt sind (Kfz) oder in denen eine Unterversorgung besteht (alles rund ums Haus). Der Verdacht liegt nahe, dass die stromlinienförmig digitalisierten Offerten möglicherweise schlicht an den Bedürfnissen der Kund:innen vorbeigehen. Damit würden sich die Thesen aus anderen Ländern bewahrheiten (siehe dazu unseren Artikel „Digitalisierung: Die Bedürfnisse der Versicherten im Blick behalten“). Ausgeschlossen ist das jedenfalls nicht, denn rein von den Konditionen her bieten die Neoversicherer sicherlich attraktive Produkte an.

Konsequenzen für Versicherer
 
Die aktuelle Situation im Bereich der Insurtechs gibt den Skeptikern recht, die von Beginn an daran zweifelten, dass es Neulingen in der Assekuranz so ohne Weiteres möglich sein würde, den tradierten Anbietern nennenswert das Geschäft abspenstig zu machen. Die Entscheidung für einen Versicherer hat eben nicht allein mit günstigen Tarifen oder digitalen Tools zu tun, sondern ist ebenso eine zutiefst rationale Entscheidung, deren Basis auch das Vertrauen ist. Und an dieser Stelle besitzen Versicherer mit langjähriger Geschichte einen offensichtlich nach wie vor bestehenden Vorteil.

Andererseits darf die Situation nicht dazu führen, in Selbstzufriedenheit zurückzufallen. Digitalisierungsprojekte und Steigerung der Effizienz bleiben schon allein unter dem Gesichtspunkt der Kostendisziplin notwendig. Und unter den Insurtechs gibt es immer noch zahlreiche Unternehmen, die an Technologien arbeiten, um Prozesse effizienter zu gestalten, den Grundstein für Automatisierungen und Dunkelverarbeitung zu legen oder KI-Projekte erst möglich zu machen.

Diese eher stillen Unternehmen bleiben zweifellos als Partner interessant, wollen jetzt aber mit Bedacht ausgewählt werden.

Sie möchten mit uns über die Digitalisierung von Versicherungen sprechen? Dann kontaktieren Sie gerne unseren Experten Karsten Schmitt, Head of Business Development.

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