Interessierte Versicherte haben noch vor einigen Jahren ihre Produkte fast ausschließlich bei dem örtlichen Ausschließlichkeitsvermittler des Versicherers Ihrer Wahl oder bei einem Makler gekauft. Dies belegt auch die jährliche Vertriebswegestatistik des GDV. Der Kauf erfolgte nach einer persönlichen Beratung vor Ort beim Kunden oder in der Geschäftsstelle des Vermittlers. Der Großteil der Abschlüsse erfolgt heute auch weiterhin auf diesem Wege.
Seit einigen Jahren ist jedoch erkennbar, dass sich die Kundenbedürfnisse mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung in Richtung des Online-Abschlusses ändern. Kundinnen und Kunden nehmen digitale Prozesse über alle Branchen hinweg immer stärker in Anspruch, sodass der Anteil der Online-Abschlüsse insbesondere bei den Schaden-/Unfallprodukten wächst und bspw. bei der Kfz-Versicherung schon fast ein Fünftel ausmacht.
Wie genau hat sich das Kundenverhalten geändert?
Versicherer optimieren ihre Produkte in allen Sparten immer weiter und versuchen damit, die bestehenden Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Die Kunden heutzutage erwarten jedoch individualisierte und zeitgleich einfache Möglichkeiten der Risikoabdeckung. Sie interessieren sich weder für Sparten noch für Produkte, sondern ausschließlich für die Abdeckung der eigenen Gefahren in ihrer aktuellen Lebenssituation. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company ist die große Mehrheit der unter 35-jährigen (74%) offen für Angebote technologiegetriebener Versicherer. Diese Offenheit führt zu mehr Wettbewerb im Versicherungsmarkt.
Aus einer Millenials-Studie der Nürnberger Versicherung und des F.A.Z.-Instituts geht hervor, dass sich junge Kunden zunehmend einfache, schnelle und auf ihre Sprache ausgerichtete Kommunikationswege wünschen, um die Zusammenhänge besser verstehen zu können.
So gehört mittlerweile das Online-Shopping von Kleidung, Elektronik, Möbeln oder Essen ebenso wie das Streaming von Musik und Filmen zum Alltag. Daher wollen diese Zielgruppen auch Versicherungen online und über die Endgeräte Ihrer Wahl abwickeln.
Versicherer müssen Lösungen über verschiedene Kommunikationskanäle anbieten
Die online-affinen Kunden sind auf verschiedenen Kommunikationskanälen und Endgeräten aktiv. Daher ist die Omnikanalfähigkeit von Versicherern ausschlaggebend für den Vertriebserfolg über die digitalen Vertriebswege. Eine Herausforderung bei der Entwicklung der Omnikanalfähigkeit von Versicherern sind die häufig veralteten Kernsysteme, die für einen durchgängigen und schlanken Prozess modernisiert werden müssen.
Die Vertriebswege sind hierbei jedoch nicht einheitlich und müssen differenziert betrachtet werden. So können Versicherungsprodukte nicht nur auf der eigenen Webseite oder über Aggregatoren wie z.B. Check24 angeboten werden. Es gibt weitere innovative Wege:
- Abschluss am Point of Sale: Immer beliebter werden Versicherungen, die man beim Online-Shopping von bspw. Fernsehern, Handys, Brillen, E-Bikes, sofort im eingebetteten Prozess „dazubuchen“ kann. Hierfür müssen Versicherer mit den E-Commerce-Unternehmen kooperieren.
- Abschluss über digitale Sprachassistenten: Der Abschluss von Versicherungen über digitale Sprachassistenten ist in Deutschland noch nicht verbreitet, technisch jedoch schon heute möglich. So kann die künstliche Intelligenz von Alexa nicht nur das Licht ein- und ausschalten, sondern auch eine Reisegepäckversicherung für die anstehende und online gebuchte Urlaubsreise abschließen.
- Videotelefonie: In der Bankenwelt ist die Videotelefonie bei Online-Banken schon seit Jahren möglich und wird aktiv bei der Eröffnung von Girokonten bspw. bei der ING angewandt. Hierbei legitimiert sich der Kunde in einem Videotelefonat mit einem Mitarbeiter, indem er den Personalausweis vorzeigt und Fragen beantworten. Dieser Vorgang ist in der Versicherungsbranche noch nicht üblich, jedoch für den Vertrieb komplexerer und erklärungsbedürftiger Produkte denkbar.
Welche technischen Voraussetzungen müssen Versicherer erfüllen?
- Kommunikation zwischen Front- und Backend: Alle Online-Vertriebswege haben eines gemeinsam: Der Kunde sieht im Frontend etwas anderes, als im Backend gespeichert wird. Die Frontends müssen hierbei nicht nur auf die Daten in den Kernsystemen zugreifen, sondern auch die Ergebnisse nach Abschluss einer Versicherung an die Kernsysteme übermitteln können. Aus diesem Grund muss eine bidirektionale Datenübertragung mit dem Bestandsführungssystem möglich sein, gegebenenfalls mittels einer zusätzlichen Softwareschicht.
- Eine durchgängige Abschlussstrecke (TAA=Tarifierung-Antrag-Angebot): Die Systeme der Versicherer müssen von dem Abschluss der Eingabe im Frontend über die Erfassung im Bestandsführungssytem bis zum Versand der Police über durchgängige Prozesse verfügen. Diese Prozesse müssen auf alle relevanten Systeme wie bspw. das In-/Exkassosystem, das Drucksystem, das Provisionssystem, das Vertriebssystem zugreifen und mit Ihnen kommunizieren können. Hierfür wird häufig eine eigene Komponente für die Abschlussstrecke benötigt.
- Dunkelverarbeitung: Eine positive Customer Journey entsteht nur dann, wenn die Policierung und Bestätigung an den Kunden nur wenige Minuten braucht. Um die Schnelligkeit zu gewährleisten, braucht es eine vollständige Dunkelverarbeitung ohne manuelle Eingriffe. Hierfür wird ein Workflow-System benötigt, welches die Prozesse orchestriert. Das Bestandsführungssystem muss jedoch in der Lage sein, die notwendigen Aktivitäten so klein zu schneiden, dass eine Flexibilität in der Prozessgestaltung vorhanden ist. Nur so kann auch ein Effizienzgewinn für die Versicherer entstehen.
Welche Auswirkungen die Entwicklungen auf den traditionellen Vertriebsweg haben
Wer nun denkt, dass Versicherungen zukünftig ausschließlich online gekauft werden, wird vermutlich falsch liegen. Wie die Vertriebswegestatistik des GDV zeigt, ist der Anteil der Abschlüsse nach einer persönlichen Beratung immer noch groß. Dies sieht man vor allem bei erklärungsbedürftigen Produkten, wie z.B. einer Lebensversicherung.
Die Digitalisierung und damit auch der Wandel im Versicherungsvertrieb schreiten schnell voran. Doch für Vermittler gilt es nun umzudenken und zu überlegen, wie die Digitalisierung und die verschiedenen Kommunikationskanäle den Vertrieb bestmöglich unterstützen können. Die Digitalisierung bietet den Vermittlern dabei Möglichkeiten, mehr Zeit für ihre Kernaufgabe aufzuwenden: Kunden betreuen und Vertrauen aufbauen. So können Vermittler bspw. ohne lange Anfahrtswege über Videotelefonie für jeden Kunden eine ebenso qualitative Beratung durchführen und arbeiten dadurch noch effizienter und flexibler. Darüber hinaus können über die Online-Vertriebswege Daten gesammelt werden, welche den Vermittlern die Möglichkeit geben, aus den gebündelten Daten die aktuelle Situation und die Interessen der Kunden zu erfahren und so noch personalisierter und zielgerichteter Angebote zu erstellen. Somit erhöht sich auch das Potenzial auf Cross- und Upselling.
Zusammengefasst kann die Digitalisierung der Kundeninteraktion im Vertrieb für alle Beteiligten große Vorteile bringen. Kunden erfahren eine auf sie ausgerichtete Customer Journey und Vermittler können durch die Verschmelzung traditioneller und digitaler Vertriebswege den Verkaufserfolg nachhaltig sichern und sogar überregional ausbauen.
Wenn Sie mehr über Digitalisierung im Vertrieb und die Modernisierung von Produktmodellierungs- und Bestandsführungssystemen erfahren möchten, wenden Sie sich gerne an unseren Experten Ruslan Rabaev.