Prozess schlägt Produkt – Die Perspektive der Versicherer


In einer dreiteiligen Artikelserie, die die These: „Prozess schlägt Produkt“ aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, soll nun die Perspektive des Versicherers eingenommen werden, nachdem im ersten Teil der Serie, die Kundensicht im Vordergrund stand.

Um einen ganzheitlichen Blick auf die Thematik zu ermöglichen, ist es sinnvoll, zunächst einen Blick auf einige Treiber für Versicherungsprozesse zu werfen.

Betriebswirtschaftliche Betrachtung

Versicherer sind Vollkaufleute mit Gewinnerzielungsabsicht. Gewinn ist auch hier definiert als Umsatz minus Kosten. Das heißt, die betrieblichen Abläufe entlang der Wertschöpfungskette, also die Prozesse, müssen darauf ausgerichtet sein, Umsatz zu erzielen oder zu steigern. Dabei müssen sie Kosten im Blick haben, um Gewinn zu erzielen.

Ein Teil dieser betriebswirtschaftlichen Betrachtung erfolgt häufig in der sogenannten Betriebsorganisation. Versicherungen haben jahrzehntelange Erfahrung in der Prozessoptimierung und auf diese Weise kontinuierlich ihre Produktivität gesteigert.

Die Wettbewerbssituation

Ähnlich wie in anderen Wirtschaftszweigen gibt es Generalisten und Spezialisten unter den Versicherungen. Die Spezialisierung auf Nischen führt in der Regel zu höheren Margen, einer weniger komplexen Produkt- und Prozesslandschaft sowie geringerem Prozessoptimierungsbedarf, solange die Margen ausreichend sind.

Die Generalisten unter den Versicherern bieten ein breiteres Produkt- und Prozessspektrum, sind aber bei geringeren Margen häufig einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Gewinntreiber sind hier kosteneffiziente Prozesse zur Verarbeitung hoher Stückzahlen. Skaleneffekte haben dabei eine größere Bedeutung.

Für beide Ausprägungen hat sich mit der Deregulierung die Wettbewerbssituation verändert, da sich die Anzahl der Wettbewerber durch den europäischen Binnenmarkt erhöht hat.

Zinsniveau, Zinszusatzreserve, Solvency II, MindZV

Seit der Deregulierung hat sich das Zinsniveau an den Kapitalmärkten dramatisch verändert. Das Kapitalanlageergebnis wird mittlerweile bereits bei einigen Lebensversicherern mit großem Biometrie-Bestand durch das Risikoergebnis als größter Ergebnisquelle abgelöst.

Infolge des gesunkenen Zinsniveaus belastet die Finanzierung der Zinszusatzreserve nun die Lebensversicherer seit mehreren Jahren.

Ergänzt wird dies durch die Eigenmittelanforderungen der Solvency II.

Darüber hinaus wurde die Beteiligung an den Ergebnisquellen von Lebensversicherern in der Mindestzuführungsverordnung verändert.

Kosten senken als Option

Die Umsatzsteigerungspotenziale in dem gesättigten und wettbewerbsintensiven deutschen Versicherungsmarkt sind begrenzt. Einnahmen sinken, Aufwände steigen. So bleibt betriebswirtschaftlich betrachtet nur der Ansatzpunkt Kosten.

Muss der Betrieb „selbst gemacht“ werden?

Für einige Versicherer und Versicherungskonzerne führte der Kostenfokus zu der Frage, ob der Versicherungsbetrieb zu den ureigenen Aufgaben eines Versicherers gehört. Einige Konzerne haben deshalb den Betrieb oder die IT in eigenen Servicegesellschaften gebündelt, Redundanzen bereinigt und Synergien geschaffen.

Andere Eigentümer von Versicherern kamen zu dem Entschluss, in den internen oder externen Run-Off zu gehen, da sich für sie das Versicherungsgeschäft nicht mehr profitabel betreiben lässt.

Validierung von Kernprozessen für eine Make-or-Buy-Entscheidung

Die Kernprozesse von Versicherern besitzen häufig einen hohen fachlichen Reifegrad, weil die Fachabteilung – getrieben durch Regulation, Revision, interne Richtlinien und den Wettbewerb – über lange Zeit Anforderungen an die IT stellte und diese Anforderungen dann durch die IT bestmöglich umgesetzt wurden. Integrationstiefe und Kosteneffizienz standen dabei nicht immer im Fokus.

Die Kosteneffizienz gewinnt, wie oben beschrieben, jedoch mehr und mehr an Bedeutung. Deshalb ist es zunehmend wichtiger, sich intensiv mit seinen eigenen Kernprozessen, deren Integrationstiefe und den zugehörigen Betriebskosten auseinanderzusetzen und dann zu einer MAKE/BUY-Entscheidung zu kommen.

Im Falle der BUY-Entscheidung stellt sich anschließend die Frage: Individualsoftware oder releasefähige Standardsoftware mit kundenindividuellen Erweiterungen. Darauf soll später noch weiter eingegangen werden.

Zielgruppen und Vertriebskanäle

Neben der reinen Kostenbetrachtung geht es natürlich auch um die Bedarfe und die Kundenerreichbarkeit von Neukunden und Bestandskunden.

Bedarfe im Hinblick auf den Eintritt der finanziellen Folgen von versicherten Risiken werden durch Versicherungsprodukte abgedeckt. Die Produkte für sich genommen stehen miteinander im Wettbewerb und dieser erfolgt in immer kürzeren Produktzyklen. Hier gilt es, Marktstandards abzudecken, mit eigenen Innovationen den Markt zu treiben, Marktanteile zu gewinnen und neue Märkte zu besetzen.

Die Geschwindigkeit von Produktentwicklungs-, Implementierungs-, Markteinführung-, Verwaltungs- und Leistungsprozessen ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Allein ein gutes oder sehr gutes Produkt zu haben genügt nicht. Potenzielle Neukunden, aber auch Bestandskunden müssen auf den für sie relevanten Kanälen erreicht werden.

Das sind einerseits die digitalen Touchpoints, aber auch die menschlichen Kontaktpunkte aus den jeweiligen Vertriebskanälen und aus dem Innendienst der Versicherungsgesellschaften.

Insbesondere Makler- und Mehrfachagenten nutzen die Dienstleistungen und Prozesse von Pools sowie die Vorteile von Vergleichssoftware. Auch hier müssen Tarife rechtzeitig, korrekt und verständlich eingebunden werden. Verständlich meint in diesem Zusammenhang: Verständliche Fehlermeldungen für Kunden und Vertrieb aufgrund von Plausibilitätsprüfungen bzw. Meldungen aus dem Rechenkern.

Lösungsansätze

Die Rahmenbedingungen, erste strukturelle Reaktionen aus dem Markt, Validierungsnotwendigkeiten von Prozessen, Bedarfe und Anforderungen von Kunden und Vertrieb sind nun beschrieben. Nachfolgend werden Lösungsansätze durch Standardsoftware dargestellt.

Vorteile releasefähiger Standardsoftware mit kundenindividuellen Erweiterungen

Der Hauptvorteil liegt in der kosteneffizienten Beschleunigung von Prozessen zur Sicherstellung marktkonformer Geschwindigkeit, Transparenz und digitaler Touchpoints für Kunden und Vermittler.

Alle nicht kundenspezifischen Prozesse lassen sich in einer Standardsoftware aggregieren und alle kundenindividuellen Wünsche in kundenindividuellen Erweiterungen abbilden.

Vorteil Modularität

Releasefähige Standardsoftware wird häufig modular angeboten. Das ermöglicht Versicherern die schrittweise Ablösung von Altsystemen. Diese Software-Module gibt es sowohl als spartenspezifische Fachsysteme für Leben, Kranken und Komposit, aber auch als spartenübergreifende Querschnittssysteme für In-/Exkasso, Provision, zentrale Partnerverwaltung und das Meldewesen. Mit dieser Modularität wird das Eingehen auf die kundenspezifische Ausgangs- und Ressourcenlage ermöglicht. Oft gibt es mehrjährige Bebauungspläne, in denen diese Module je nach Priorität des Kunden Altsysteme schrittweise ablösen.

Vorteil Migration

Mittels – ebenfalls als Standardsoftware verfügbarer – Migrationssoftware werden Daten aus den Altsystemen in die neuen Systeme migriert und revisionssicher archiviert, damit Altsysteme mit hohen Betriebskosten abgeschaltet werden können.

Vorteil „Frischegarantie“

Die Anbieter warten die Standardsoftware und liefern regelmäßig neue funktionale und technische Releases aus. Das heißt, die Technologie der Standardsoftware veraltet nicht (z.B. jeweils aktuelle Application Server, Java-Frameworks, Datenbanken) und der Funktionsumfang wird ständig erweitert.

Vorteil automatischer OWASP Top 10-Abgleich

Einige Anbieter scannen bereits alle Module gegen die Top 10 des Open Web Application Security Project (OWASP). Dabei handelt es sich um die Top 10 Sicherheitslücken für Webanwendungen.

Vorteil Individualität

Produkte, Geschäftsvorfälle, Oberflächen, Schnittstellenumfang sowie neue weitere Schnittstellen lassen sich bedarfsgerecht in den kundenindividuellen Schnittstellen abbilden.

Vorteil Hell-Dunkel-Einstellung

Welche Prozesse, Produkte und Geschäftsvorfälle hell oder dunkel ausgeführt werden, sollten Versicherungen selbst definieren und dabei den Umfang der Dunkelverarbeitung genau festlegen.

Vorteil Schwarmintelligenz und Einflussmöglichkeiten

Manche Anbieter organisieren regelmäßig sogenannte Partnerschaftsforen. Dabei steht der Austausch „Aus der Praxis für die Praxis“ zwischen Lizenznehmern und Softwareanbieter im Mittelpunkt. Bedarfe werden auf diese Weise identifiziert und in die Roadmap für zukünftige Releases mit aufgenommen.

Vorteil Container-Technologie

Egal wie das Betriebsmodell aussieht, ob on-premises, cloud oder hybrid mit der Container-Technologie kann jede dieser Varianten abgebildet werden. Einige Container sind durch etablierte Distributoren für den Unternehmenseinsatz optimiert.

Fazit:

Die These „Prozess schlägt Produkt“ wurde aus Sicht des Versicherers bestätigt. Denn neben dem Produkt gibt es weitere vielfältige Erfolgstreiber. Allein ein gutes oder sehr gutes Produkt zu haben, genügt nicht.

Ähnlich einem Spinnennetz muss um das Produkt ein Geflecht an Prozessen existieren, dass bei Kunden, Vertriebskanälen und Innendienst verfängt.

Aus Sicht des Versicherers müssen diese Prozesse so gestaltet sein, dass das Unternehmen profitabel ist. Prozesse müssen der Erzielung von Umsatz dienen und kosteneffizient sein.

Das wird erreicht, wenn Entwicklungszyklen sowie Bearbeitungszeiten verkürzt und Kosten reduziert werden. Auch die Vermeidung von Abgangsverlusten gehört dazu. Dafür müssen Prozesse regelmäßig evaluiert werden und bei Bedarf Optimierungen erfolgen.

Versicherer müssen den heutigen Erwartungen an Geschwindigkeit und Transparenz an allen Kontaktpunkten mit Kunden und ihren Vertriebskanälen gerecht und ihre Produkte sichtbarer werden.

Versicherungen, die nicht auf Vergleichsplattformen oder in Angebots- und Vergleichsrechnern erscheinen, existieren faktisch für einige Kunden oder Makler nicht, da sie in nicht in deren Prozesskette eingebunden sind. Dabei gilt es auch, die Prozessanforderungen dieser Aggregatoren zu bedienen. Ein führender Anbieter bietet hier sogar ein Prozess-Siegel für verschiedene Sparten an.

Auch dies kann bei der Evaluierung von Prozessen unterstützen, Ansatzpunkte liefern und helfen, den eigenen Prozessstand mit dem Markt abzugleichen.

Steht am Ende einer Prozess-Evaluierung eines Versicherers ein gesunder Mix aus Standardisierung und Individualität kann eine BUY-Entscheidung für eine Standardsoftware mit kundenindividuellen Erweiterungen eine kluge, kosteneffiziente und zukunftssichere Entscheidung sein.

 

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